Association Internationale des Professeurs de Philosophie
Geschichte und Aktivitäten der AIPPh
1. Die Pariser Deklaration für Philosophie
Im Jahre 1995 tagte eine von der UNESCO organisierte Versammlung von PhilosophInnen zum Thema „Philosophie und
Demokratie in der Welt“, die am Ende die eine Erklärung formulierten, in der 22 Fachleute verschiedener Länder
die Bedeutung weltweiter philosophischer Bildung hervorhoben, da „philosophische Reflexion … nicht nur zum
Verständnis des Menschlichen und bestimmten Haltungen beitrage, sondern auch für Kenntnis von Denktraditionen
in verschiedenen Kulturen“ sorge. Eine Kultur der freien Diskussion, in der man Begriffe kläre und Argumente prüfe,
würde eine Atmosphäre des Respekts schaffen und zu unabhängigem Denken führen. Folglich würde das Lehren von Philosophie
„open-mindedness, civic responsibility, understanding and tolerance among individuals and groups“ fördern,
sodass man verschiedenen Formen von Propaganda besser wiederstehen könne und in die Lage versetzt würde, der
Verantwortung für die großen Fragen der derzeitigen Welt, insbesondere im Bereich der Ethik,
besser gerecht zu werden.[1]
Diese Erklärung hätte unsere sein können und war uns in unserer Association hochwillkommen, in der Lehrende der
Philosophie an Schulen und Hochschulen sich seit langem um gesellschaftlichen Einfluss für ihr Fach bemüht haben,
ihre Erfahrungen und Probleme austauschen und Gelegenheiten haben, voneinander zu lernen. Besonders „die Hoffnung,
dass Philosophie nicht vorherrschenden ökonomischen, technischen, religiösen, politischen oder ideologischen
Erfordernissen untergeordnet werden möge“, bleibt für Lehrende der Philosophie an Schulen und Hochschulen wichtig,
so dass „das Lehren der Philosophie unterstützt oder ausgeweitet werden solle, wo es bereits existiert, einzuführen
ist, wo es noch nicht existiert, und auch explizit als „Philosophie“ bezeichnet werden“ solle.
[2]
Lehrende der Philosophie an Hochschulen sollten sich, um geeignete StudentInnen zu bekommen, auf Lehrkräfte verlassen
können, die an Schulen nicht nur grundlegende Kenntnisse vermitteln und eine Argumentationskultur anregen können, sondern
auch Begeisterung für die Geschichte und die Probleme des Denkens, die PhilosophInnen durch die Jahrhunderte hinweg
beschäftigt haben. Und dies findet nicht im Elfenbeinturm statt: Philosophisches Denken hat die Welt bewegt, zum Beispiel
durch die Entwicklung demokratischer Ideale, von Menschenrechten, Aufklärung und hat – im Namen einer Idee von
Gerechtigkeit – sogar zu Revolutionen geführt. Und sie hat eine wichtige Rolle im Hinblick auf eine lebenswerte
Zukunft zu erfüllen. Zum Beispiel bei der Entwicklung von Leitlinien im Bereich angewandter Ethik in einer sich
ständig wandelnden Lebenswelt.
Neben dem fachlichen Austausch pflegen wir auch den Austausch über methodische Ideen (und daran sind Hochschullehrer oft
sehr interessiert), die es erlauben, Inhalte motivierend und methodisch geschickt so aufzubereiten, dass Studierende
nicht nur Wissen anhäufen, sondern sich in eine engagierte Auseinandersetzung mit philosophischen Problemen locken
lassen und Texte nicht nur rezeptiv und ohne innere Beteiligung in sich aufnehmen.
Natürlich gibt es in den Richtlinien verschiedener Länder Unterschiede, was an unterschiedlichen didaktischen Kulturen liegt,
und auch darüber kann man sich anregend austauschen. In manchen Ländern ist die Lehre strikt historisch und textorientiert
ausgerichtet, andere wählen ein problemorientiertes Vorgehen und beschränken sich nicht nur auf klassische Texte und verwenden
altersentsprechend andere Medien wie z.B. Zeitungsartikel , Bilder, Gedankenexperimente, Strukturskizzen, Mindmapping,
Metaplantechnik, table-set-Verfahren, Fishbowl-Diskussionen etc.
Daher haben wir erfahren, dass es anregend ist, über den Gartenzaun zu schauen und zu sehen, wie und mit welchen Methoden
und Medien das Lehren der Philosophie in anderen didaktischen Kulturen vor sich geht. Und genau dies ist neben dem fachlichen
Austausch seit Jahrzehnten bei allen Veränderungen unser Ziel gewesen.
2. Zwanzig Jahre früher
Bereits im Jahre 1974, hatte der holländische Philosoph Marcel Fresco in Brüssel eine „Association Internationale des Professeurs
de Philosophie“ (AIPPh) als Verein belgischen Rechts gegründet. (Wir haben die französische Bezeichnung „professeur“ beibehalten,
da sie Lehrende an Schulen und Hochschulen meint, und wir wenden uns an beide Kreise, und das länderübergreifend.)
Fresco war 1933 in die Niederlande ausgewandert, und hatte zunächst an der europäischen Schule in Brüssel unterrichtet,
bevor er in Leiden eine Professur bekam [3]
, beschäftigte sich aber weiterhin auch mit dem Philosophieren mit Kindern.
Er wurde der erste Präsident der AIPPh, zu einer Zeit, als die Länder Europas sich aufeinander zu bewegten, um jeden
Krieg in der Zukunft zu verhindern. Fresco war auch im hohen Alter noch ein warmherziger und lebhafter Denker, dem das
Miteinander am Herzen lag.
Es war wichtig, ein Gefühl von Gemeinschaft zu wecken („donnez une âme à l’Europe!“ hatte Jacques Delors gefordert), und es
schien damals notwendig, sich in Europa der gemeinsamen Wurzeln bewusst zu werden, z.B. denen in der griechischen Philosophie
und der gemeinsamen Geistesgeschichte, die fruchtbare Entwicklungen auch zwischen den Ländern zeigt: Es gab wechselseitige
Beeinflussungen. So gab es die erste Erklärung der Menschenrechte in Frankreich, nach der Valladolid-Kontroverse in Spanien
(ob wohl die Einwohner der neuen Welt von Natur aus Sklaven seien, oder von Geburt an über gewisse Rechte verfügten),
aber beides wäre nicht möglich gewesen ohne Pico della Mirandolas Traktat über die Menschenwürde im Italien der Renaissance,
das sich zurückbezog auf die griechische Antike, die wiederum für uns nicht ohne arabische und erst danach lateinische
Übersetzungen der griechischen Texte zugänglich gewesen wäre. Durch die Zeiten hinweg können wir also ein vielstimmiges
nicht nur europäisches geistesgeschichtliches Konzert beobachten, das oft die Entwicklung gemeinsamer Werte in Gang
setzte und heute Bestandteil philosophischer Bildung ist.
[4]
Aber die AIPPH hätte sich nicht gründen können, hätte nicht ein deutscher Philosophielehrer namens Eduard Fey, der später
in die Münsteraner Schulaufsicht wechselte, bereits 1959 eine Zusammenkunft von Philosophielehrern aus Frankreich,
Italien, Österreich, Deutschland und der Schweiz organisiert. Tagungen in Mailand, Sèvres, Wien und Brüssel folgten und
führten zur Gründung des oben geschilderten Vereins nach belgischem Recht in Brüssel, zu einer Zeit, wo jeder erwartete,
dass Brüssel die Hauptstadt Europas werden würde. So lag zu dieser Zeit der Fokus auf Europa, das damals natürlich kleiner
war als heute.
Zur Zeit der früheren Schatzmeisterin Luise Dreyer (1929-2018) konnte die AIPPh sich dann für die früher nicht zugänglichen
Länder Osteuropas öffnen, die ehemals hinter dem „eisernen Vorhang“ lagen. Nach dem Fall der Mauer bekam sie massive
finanzielle Unterstützung vom deutschen Ministerium für Wissenschaft und Bildung, das auch Kontakte zu den Bildungsministerien
der osteuropäischen Länder herstellte. Die Absicht dahinter war natürlich die Verbreitung liberaler und demokratischer
Denktraditionen. [5]
Aber für uns ging es damals hauptsächlich um die Beseitigung von Vorurteilen auf beiden Seiten.
Wir konnten uns freimütig über unser gemeinsames Fach unterhalten, und über die Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ländern,
und konnten uns austauschen über Ideen für bessere Lehre an Schulen und Universitäten und über bessere Curricula.
Und viele von uns konnten Einfluss nehmen.
3. Tagungen und Veröffentlichungen
Auf unseren Jahrestagungen pflegen wir meist den Gebrauch dreier Sprachen: Englisch, Deutsch und oft auch Französisch,
sorgen aber möglichst für Übersetzungen. Wirklich spannend war eine Tagung bei Leipzig (früher DDR) kurz nach dem Fall der
Mauer, wo jedes kleine noch so verfallene Dorf über eine Videothek und ein Reisebüro verfügte, nachdem Reisen und fremde
Filme nicht mehr verboten waren.
In dieser Zeit begann Luise Dreyer als Periodical für unsere Mitglieder „Europa Forum Philosophie“ herauszugeben
(manchmal sogar zweimal jährlich), um über die Aktivitäten in der AIPPh zu berichten, zunächst im Eigenverlag.
Das größte Ereignis von allen war 1994 ein Kongress in Kloster Banz in Bayern. Nahezu 200 Teilnehmer aus 20 Ländern
waren versammelt, denn großzügiges Sponsoring erlaubte freie Unterkunft und Verpflegung sowie Reisekosten für die
Teilnehmer aus den ehemals sozialistischen Ländern. Anschließend organisierte der kürzlich verstorbene Pekka Elo
aus Helsinki, der im finnischen Bildungsministerium für Philosophie verantwortlich war, eine Tagung zur Sprachphilosophie
an der Universität Helsinki, nach der die ReferentInnen per Schiff nach Estland reisten, um dort in Tallin das
philosophische Institut zu beraten, welche Standardwerke „westlicher“ PhilosophInnen anzuschaffen wären, nachdem
lange Zeit nur solche marxistisch-leninistischer Prägung erlaubt worden waren.
Auf Pekka Elos Vermittlung hin halfen wir auch als Juroren in der Internationalen Philosophie-Olympiade (IPO),
der Stufe nach den nationalen philosophischen Essaywettbewerben.
In Prag feierte man Descartes 400. Geburtstag mit einem Kongress in der Tschechischen Akademie der Wissenschaften,
einem höchst eindrucksvollen Gebäude in der Nähe der Moldau, direkt neben der Oper. Und in der Nähe von Utrecht
lernten wir anlässlich einer Tagung in Leusden ein Philosophie-Hotel kennen, in dem jedes Zimmer einem anderen
Philosophen gewidmet war. Alle diese Tagungen sind und waren Gelegenheiten, Ideen in Vorträgen und Workshops vorzustellen,
oder an kritischen Diskussionen teilzunehmen; und natürlich um Erfahrungen auszutauschen und Kontakte zu FachkollegInnen
Ländergrenzen hinweg zu knüpfen, aus denen oft Freundschaften geworden sind.
4. Über Europa hinaus
Heute können wir eine dritte Phase unserer Entwicklung ausmachen: In Zeiten der Globalisierung auch in der Philosophie
sind wir über Europa hinaus gewachsen. Zu Beispiel sind wir nun dank unserem Ehrenpräsidenten Werner Busch korporatives
Mitglied der FISP („Fédération Internationale des Sociétés Philosophiques) und können neue Kontakte auf den Weltkongressen
Philosophie knüpfen, die alle 5 Jahre stattfinden. Seit dem Weltkongress in Athen ist unser Ehrenpräsident auch einer der
Chairs der Sektion „Teaching Philosophy“ auf den Weltkongressen.
[6]
Bei diesem Weltkongress Athen trafen sich 3000
PhilosophInnen aus aller Welt, und sie wurden am Ende des ersten Tages im antiken Theater des Herodes Attikos direkt
neben der Akropolis vom griechischen Ministerpräsidenten und dem damaligen Weltpräsidenten William McBride begrüßt,
bevor ein Ballett und das Athener Symphonieorchester mit einer Open-Air-Aufführung begannen, die in einem wilden
Sirtaki endete. Aber die Hauptsache waren natürlich höchst inspirierende Vorträge und Workshops in 8 Sprachen sowie
die Gelegenheit für viele interessante Kontakte.
Anlässlich unseres 40sten Geburtstages fand eine große Tagung in Bonn-Bad Godesberg statt, da man aus diesem
Anlass einmal unsere dreisprachige Kommunikation und die Schwierigkeit von angemessenen Übersetzungen nachdenken wollte.
Die Redner, auch aus Japan und Tunesien, Polen und Amerika, trugen bei , zum Nachdenken über andere Sprachstrukturen, z.B.
Japanischen und Arabischen. Das führte zu zwei Veröffentlichungen, da der Platz in unserem Jahrbuch nicht ausreichte: die
mehr praxisbezogenen Beiträge erschienen in unserem Jahrbuch „Europa Forum Philosophie 65“, damals schon beim Verlag
Traugott Bautz, die theoretischeren englischen und deutschen Beiträge zur Philosophie der Übersetzung beim Karl Alber
Verlag Freiburg.
[7]
Les membres de notre comité actuel proviennent de Bulgarie, Pologne, Norvège, Hollande, Suisse, Italie, Tunisie, Russie et Allemagne ;
la dernière assemblée générale a décidé à l'unanimité d'adapter le titre de notre bulletin par lequel nous sommes entrés sur le marché du
livre, tout en conservant sa numérotation progressive. Il s'appelle désormais "Forum Philosophie International", il paraît une fois par an
et est gratuit pour les membres de l’association. Nous espérons qu'il sera présent dans les bibliothèques universitaires et autres, car il
convient parfaitement comme base pour des séminaires sur les thèmes traités. Aujourd'hui, c’est par le biais d'une lettre d'information
électronique semestrielle que nous informons nos membres de nos activités et de ce qui est intéressant dans le domaine de la philosophie,
comme par exemple notre projet COMET ("Community of Ethic Teachers in Europe") dans le cadre d'un projet Erasmus+, lancé par nos collègues
hollandais lors d'un de nos congrès à l'université de Lodz (Pologne). Nous travaillons également sur un projet entre 6 universités de
différents pays sur le thème du "populisme" que nous sommes invités à présenter lors du prochain congrès mondial à Rome en 2024, l'année
de notre 50ème anniversaire.
5. Neue Entwicklungen und Aufgaben
Und es gibt noch weitere Veränderungen: Nachdem unsere Akkreditierung als Verein belgischen Rechts ausgelaufen war,
wurde die AIPPh nunmehr als gemeinnützige Vereinigung deutschen Rechts neu gegründet. Wir mussten zu diesem Zweck eine
neue Satzung liefern, die natürlich an der alten Satzung orientiert war, aber wir haben den Bezug zu der oben erwähnten
Pariser Deklaration für Philosophie mit einbezogen, was entscheidend für den Erhalt der Gemeinnützigkeit in Deutschland war.
Wir können nun Spenden zur satzungsgemäßen Verwendung annehmen, die sich in Deutschland steuermindernd auswirken.
Die 17 Gründungsmitglieder unsere neuen /alten AIPPh kommen aus 17 Ländern: Finnland, Polen, Norwegen, Bulgarien,
Deutschland, Holland, Italien, Russland, Kroatien und Slowenien. Und da die Corona-Zeit uns mehr auf die verstärkte
digitale Aktivität von Universitäten und philosophischen Gesellschaften aufmerksam gemacht hat, haben wir einen
twitter-Account eröffnet, in dem wir auch Nichtmitglieder auf solche und eigene Veranstaltungen und Publikationen
aufmerksam machen wollen.
Da unsere für die Universität Utrecht geplante Tagung coronabedingt ausfallen musste, haben wir, auch zum Zweck größerer
Mitgliederpartizipation, nun eine jährliche ZOOM-Tagung in unser Angebot aufgenommen, auf der wir über Ländergrenzen hinweg
miteinander ins Gespräch kommen wollen. Und eine Gruppe von Mitgliedern auf drei Kontinenten hat an einer Deklaration zur
Naturethik gearbeitet, die auf einer Schweizer Tagung zu diesem Thema zur Unterschrift auslag und der UNESCO zugeleitet wurde.
Wir suchen aber auch nach neuen interessierten Mitgliedern, die uns helfen, unsere Arbeit in der Zukunft weiterzuführen,
obwohl oder vielleicht gerade weil die Rahmenbedingungen in verschiedenen Ländern sich geändert haben: So waren z.B. in
einigen deutschen Bundesländern im goldenen Zeitalter des Oberstufen-Philosophieunterrichts neben Grundkursen auch
Leistungskurse Philosophie mit 5-6 Wochenstunden wählbar, vergleichbar den A(dvanced)-Level-Kursen an früheren englischen
grammar schools, mit Halbjahreskursen in Anthropologie, Erkenntnistheorie, Ethik, politischer Philosophie etc.
Von solch guter Vorkenntnis können Universitäten heute nur noch träumen, denn angesichts zentraler Abiturprüfungen und der
Zunahme an Pflichtbindungen bleibt in der gymnasialen Oberstufe weniger Freiraum für eigene Wahlen. Andere Fächer,
in denen es weniger um Reflexion geht - wie z.B. die MINT-Fächer - werden als wichtiger betrachtet, und daher müssen wir
weiter für die Bedeutung unseres Faches kämpfen, um den Wert philosophischer Bildung und methodisch angeleiteter Reflexion
bewusst zu machen. Diese sind Bestandteil unseres kulturellen Erbes und können zu einer besseren, friedlicheren Zukunft beitragen.
Denn die Kraft von Argumenten und von Methoden kritischer Prüfung im Hinblick auf eine Entwicklung eigenständiger
Denkfähigkeiten kann Gewalt vorbeugen helfen, und weniger anfällig für fake news, Verschwörungstheorien und politische
Indoktrination machen. Und eine solche Kultur der Reflexion wollen wir länderübergreifend fördern.
(Dr. Gabriele Osthoff-Münnix, November 2022)